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Wir werden ja auch oft nach Empfehlungen für Therapeuten sowie danach gefragt, was bei der Therapeutenwahl aus unserer Sicht zu beachten ist. Dabei weisen wir grundsätzlich immer darauf hin, dass hochbegabte oder besonders begabte und sensible Patienten neben anderen wichtigen Aspekten auch darauf achten sollen, dass ihre zukünftige Therapeutin keine blinden Flecken beim Thema Hochbegabung aufweist.

Was bedeutet das, keine blinden Flecken beim Thema Hochbegabung?

Da gibt es ja die unterschiedlichsten Typen. Es gibt, sogar unter Psychotherapeuten, Menschen, die nicht um ihre Hochbegabung wissen. Manche davon haben auch einfach keine hochbegabungsinduzierten Probleme – was schön ist, aber für den hochbegabten Patienten nicht gerade hilfreich. Es gibt sogar solche, die um ihre Hochbegabung wissen, aber meinen, psychische Problem würden in aller Regel nicht mit einer unerkannten Hochbegabung zusammenhängen. Dann gibt es Therapeuten, die sich gut mit dem Thema Hochbegabung und Hochsensibilität auskennen, aber selbst nicht hochbegabt sind. Jetzt wird es langsam besser. Und dann gibt’s die Crème de la Crème, Therapeuten, die hochbegabt, hochsensibel und sehr belesen und selbstreflektiert auf diesen Gebieten sind. Leider sind die: äußerst rar. Manchmal gefühlt so rar wie die Blaue Mauritius. 

Was ist die Gefahr bei einer Psychotherapie, die das Thema Hochbegabung nicht angemessen reflektiert?

Wenn ein Psychotherapeut nicht über angemessene Kenntnisse über Hochbegabung verfügt oder sich nicht das Einfühlungsvermögen angeeignet hat, dessen es bedarf, um Hochbegabte zu verstehen, kann es in der Therapie leicht zur Verwechslung mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen kommen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Patientin an Normopathie leidet. Normopathie ist das krankhafte Bedürfnis, sich an eine wahrgenommene Norm anzupassen.

Die Ursache einer solchen krankhaften Anpassung liegt bei Hochbegabten in aller Regel aber gerade in ihrer Hochbegabung begründet. Die Andersartigkeit hochbegabter Kinder führt, wenn sie von den relevanten Bezugspersonen – das können Eltern, Erzieher, oder auch Peer Group-Kinder sein – als solche gespiegelt wird, ohne Ursache und Bedeutung der Andersartigkeit zu reflektieren, zu einem Minderwertigkeitsgefühl und dem Wunsch, „dazuzugehören“. Dieser Wunsch wird dann umgesetzt in Anpassung nach unten (z.B. indem Kindergartenkinder nicht offenbaren, dass sie sich selbst das Lesen beigebracht haben), in übertriebenen Ehrgeiz, Regeln zu befolgen und „alles richtig zu machen“ sowie in Unterdrückung ihrer kreativen und „widerspenstigen“ Persönlichkeitsanteile.

Vielleicht ein Hinweis an selbstkritische Eltern: Ein solches unangemessenes Spiegeln der Andersartigkeit hat nichts damit zu tun, seine Kinder nicht zu lieben. Es liegt vielmehr schlicht in der Unkenntis über das Thema Hochbegabung begründet, häufig allerdings einhergehend mit einer eigenen unerkannten bzw. nicht aufgearbeiteten Hochbegabung bei den Eltern.

In jedem Fall kann das überehrgeizige, pflichteifrige Benehmen solcher Menschen leicht in narzisstische Verhaltensweisen münden. Diese gründen aber nicht primär, wie bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, in einem Mangel an Selbstliebe und der damit verbundenen Fremdbestätigungssucht, sondern schlicht in einem verzerrten Selbstbild, das in verzweifelter Unkenntnis zu korrigieren versucht wird. Das kann tatsächlich dazu führen, dass alle Anstrengung darauf gerichtet wird, soziale Bestätigung zu erhalten. Es wird aber eben nicht damit getan sein, den hochbegabten Patienten in der Therapie hiermit zu konfrontieren. Er wird nämlich nicht verstehen, dass er „einfach mal langsamer machen“ soll. Denn er will nichts langsamer machen. Er will sich nur nicht mehr verstecken müssen, kann das aber nicht artikulieren. Der normopathische Hochbegabte wird für sich in aller Regel die Begriffe „Leistung“, „Verantwortung“ und „Erfolg“ umdefinieren müssen. Aber nicht, indem sie noch mehr ausgebremst wird, sondern indem sie bestärkt wird, ihre wahren, vergrabenen Leidenschaften, Interessen, Talente wieder ans Licht zu holen und sich nicht mehr dessen zu schämen, dass diese von vielen Menschen nicht verstanden werden. 

Was ist denn da versteckt?

Was sind aber Beispiele für solche verschütteten Eigenschaften, Vorlieben, Interessen, die der normopathische Hochbegabte in sich vergraben hat, um alle Kraft für eine konventionelle Karriere und ein gutbürgerliches Leben aufzuwenden?

Wichtigstes Beispiel ist ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Diese Eigenschaft kann leicht anecken, da die wesentlichen Strukturen unserer Gesellschaft – Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat hin oder her – auf Machtverhältnissen basieren. Das fängt schon im Kindergarten an, wo Erzieher sich in Streitigkeiten nicht einmischen sollen, damit die Kinder das „unter sich regeln“, was ohne Weiteres zum Erlernen des „Rechts des Stärkeren“ führt, und endet bei den Machtspielchen in Politik und Vorstandsetagen.

Nächstes wichtiges Beispiel ist die Kreativität. Entgegen den Lippenbekentnnissen der meisten Lehrer und Chefs sind kreative Lösungen und Innovationen nämlich in Schule und Berufsalltag durchaus unerwünscht. Jedenfalls solche, wie Hochbegabte sie gerne vorschlagen und vorantreiben würden – solche, die Althergebrachtes gerne einmal komplett auf den Kopf stellen.

Weiterer wichtiger Aspekt ist das Zusammentreffen diverser als diametral entgegengesetzt wahrgenommener Eigenschaften, so nach dem Motto „Du kannst doch nicht täglich Fußball trainieren und Gedichte schreiben“, „Mädchen sind nicht gleichzeitig Ballettänzerinnen und mathematisch begabt“, usw. Vereint man, wie viele Hochbegabte, solche „gegensätzlichen“ Eigenschaften, ist das ein weiterer Punkt, um als „anders“ aufzufallen und somit besser nur eine dieser Seiten auszuleben, oder gleich gar keine.

Was kann helfen?

Angesichts der Rarität der entsprechend qualifizierten Therapeuten und des (mit Corona sicherlich weiter) steigenden Bedarfs ist die zweitbeste Lösung, die Therapie durch ein hochbegabtenspezifisches Coaching begleiten zu lassen. Dort kann dann der Ort sein, die allgemeinpsychischen Probleme mit dem Thema Hochbegabung zu verknüpfen, sich den hochbegabten Persönlichkeitsanteilen mit konkreten positiven Aktivitäten zuzuwenden sowie Selbstausdruck, Kommunikationsfähigkeit und Selbstliebe weiter zu stärken.

 

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