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Ostersonntag, Kölner Rheinufer in einer schicken Wohngegend bei Sonnenuntergang. Menschen, Familien, Paare, tummeln sich auf der Rheinpromenade und den Wiesen. Sie hören Musik, essen, trinken, unterhalten sich.

Ostersonntag, Kölner Rheinufer in einer schicken Wohngegend bei Sonnenuntergang. Keiner hält sich an die aufgrund der Covid 19-Pandemie verfügten Social Distancing-Beschränkungen. Menschen, Familien, Paare, tummeln sich auf der Rheinpromenade und den Wiesen. Menschen, die nicht in den schicken Eigentumswohnungen am Rheinufer wohnen, sondern in den Mietskasernen rund um den nahe gelegenen sozialen Brennpunkt. Sie hören Musik, essen, trinken, unterhalten sich. Die Luft ist übersättigt mit aufdringlichen Gerüchen, die Mülleimer quellen über.

Ostersonntag, Kölner Rheinufer in einer schicken Wohngegend bei Sonnenuntergang. Wir hatten auf einen ruhigen Bummel über eine menschenleere Rheinpromenade gehofft. Die vielen Menschen, die übervollen Mülleimer, passen nicht zu dem Bild, das wir uns vorgestellt hatten. Wir sind betreten, bleiben nur wenige Minuten.

Später fragen wir uns: Was ist passiert? Ist es so verwunderlich, dass an einem sonnigen Feiertag bei frühsommerlichen 25 Grad viele Menschen am Rhein unterwegs sind? Ist es verwunderlich, dass darunter besonders viele Menschen sind, die nicht direkt, aber auch nicht weit vom Rheinufer wohnen und die vermutlich weder Balkon noch Garten haben? Noch dazu in Zeiten, in denen sämtliche Freizeiteinrichtungen geschlossen und Reisen und Besuche überwiegend untersagt sind? Ist es verwunderlich, dass diese Lebendigkeit im Freien ihre Spuren hinterlässt?

Wir fragen uns: Haben wir uns schon so sehr an den sozialen Abstand gewöhnt, …? Finden wir es im Grunde nicht ganz entspannend, uns immer weniger der sozialen Realität auszusetzen? Nur noch ausgewählte soziale Kontakte, und dann vorwiegend über soziale Medien, zu pflegen?

Szenenwechsel: Kanzlei, letzte Woche. Eine Mandantin schüttet mir ihr Herz aus: Sie habe ja noch drei frisch sanierte Wohnungen zu vermieten. Aber Besichtigungen seien ja jetzt ausgeschlossen: „Nein, fremde Menschen würde ich jetzt wirklich nicht treffen wollen!“ Und fast im gleichen Atemzug: „Man hat ja jetzt das Bedürfnis, jeden in der Familie ganz feste zu knuddeln, das hat man sonst ja so gar nicht …“ Ich selbst merke, wie froh ich um jede soziale Interaktion bin. Halte alle Mitarbeiter vom Arbeiten ab, weil ich so ein großes Bedürfnis nach Austausch verspüre. Esse mittags freiwillig mit dem Kollegen in der Kaffeeküche. Philosophiere endlos mit einem älteren Herrn, der gemütlich ein Kölsch vor dem Lokal trinkt, bei dem ich mein Mittagessen abhole.

Was also passiert? Selbst ich als introvertierter, hochsensibler Mensch lechze nach sozialem Austausch. Menschen, die sich im Regelfall weniger direkt emotional ausdrücken, verspüren nun gerade danach ein großes Bedürfnis. Gleichzeitig gewöhnen wir alle uns daran, auf der Straße einen Bogen um entgegen kommende Passanten zu machen, das Gesicht wegzudrehen, wenn wir mit jemandem im öffentlichen Raum sprechen. Die geschlossenen Geschäfte und leeren Straßen entschleunigen das Leben spürbar.

Szenenwechsel: Indien, in den Slums der Millionenstand Bangalore. Die Regierung verhängt eine vollkommene Ausgangssperre. Die Tagelöhner, die mit ihren Großfamilien in kleinen Hütten auf engstem Raum wohnen, dürfen diese nun nicht mehr verlassen. Sie und ihre Familien leben von der Hand in den Mund, es gibt keine Ersparnisse oder Vorräte.

Wir sind immer noch in einer privilegierten Situation. 900 Quadratmeter Garten mit Spielgeräten, Bäumen und Wildnis, die dieses Jahr von einer großen Wollschweber-Kolonie genussvoll frequentiert wird. Eine Dachterrasse zum plantschen, grillen und picknicken. Wenigstens zum Teil laufendes Einkommen und Ersparnisse. Tägliche Dankbarkeit für jeden Moment Gesundheit. Und gleichzeitig die Befürchtung, die Krise könnte in uns etwas zerstören – die Mitfreude an Lebendigkeit, das Aufgehen im Trubel, das Entspannen in einer Menschenmenge, die sich gehen lässt … Und nein, ich hätte nicht gedacht, dass ich solche Zeilen schreiben würde. Ich, die ich stolz darauf bin, jegliche Großveranstaltungen, seien es Sportevents, Konzerte oder Demonstrationen zu meiden, aus purer Unlust an einer gleichgestimmten Menschenmenge. Als deren Teil ich mich nie fühlen mag, aus dem Unbehagen heraus, möglicherweise meine Differenziertheit zu verlieren, wenn ich mich von einer Gruppendynamik hinreißen ließe. Und genau diesem Menschen fehlen jetzt die anderen – die, die das Bild des Lebens so differenziert machen, wie ich es mir erhalten will. Auch in dieser Zeit.

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