Beruflich habe ich ja ziemlich viel mit Kugelschreibern zu tun. Das erste Mal habe ich darüber nachgedacht, als es darum ging, mit welchem Stift ich meine sechsstündigen Examensklausuren bestreiten will. Ich entscheid mich für Stabilo Gelschreiber und schaffte mir einen gefühlten Lebensvorrat davon an. Tatsächlich nutze ich heute immer noch Stifte aus dem 100er Sparpack von 2007. Gebraucht fürs Examen habe ich nur vier bis fünf.
Mein Notars-Kuli
Als ich dann irgendwann als Rechtsanwältin in der internationalen Wirtschaftskanzlei gekündigt hatte, um Notaranwärterin zu werden, bekam ich zum Abschied einen schönen Kugelschreiber von Waterman geschenkt. Ehrlich gesagt: Mein Geschmack war er nicht. Eckig, schwarz glänzend, gold abgesetzt. Als ich dann ein Jahr später auch mit dem Notarberuf abgeschlossen hatte, habe ich ihn irgendwann verloren, ohne es richtig zu merken. Aber es war eine nette Geste. (By the way, in dieser Kanzlei lernte ich auch, dass nett die kleine Schwester von Scheiße ist und dass ein schlimmeres „Kompliment“ nur noch sei, als „Frau“ bezeichnet zu werden.)
Das Who is Who der Kugelschreiber
Naja, heute unterschreibe ich irgendwie doch noch relativ häufig Dokumente als Notarvertreterin. Dabei ist interessant, wie jeder Notar so mit seinen Kugelschreibern umgeht. Der eine hat recht günstige Amazon-Ware, der andere mit der Kanzlei-Visitenkarte bedruckte Edel-Werbe-Kugelschreiber, der nächste hochwertige Gelkugelschreiber in dunkelblau, und schließlich einer, der orangefarbene Stabilos nutzt, die den unschätzbaren Vorteil haben, dass der Nippel daran aus flexiblem Gummi ist, was man nicht abbrechen kann (was ich bei den anderen Sorten sehr gerne tue, mit einer Verschleißrate von 2-3 pro Arbeitstag).
Der obligatorische Exkurs zu Thomas Mann
Der Stift als solches begleitet mich aber schon viel länger – seit meiner Lektüre der Buddenbrooks mit 16 Jahren. Bekanntlich dient Thomas Mann ja das Ausleihen eines Bleistifts zwischen zwei Gymnasiasten als subtile Andeutung homoerotischer (Wunsch-)Beziehung. Das heißt, der Stift als solches ist einerseits Phallus-Symbol und steht andererseits auch für verschämte homoerotische Sehnsüchte, im Grunde auch für die äußerste Subtilität, die Literatur annehmen kann.
Symbolkraft des Kugelschreibers im Berufsleben
Unzweifelhaft ist das Schreibgerät des Büroarbeiters immer auch ein Statussymbol, gerade für Männer. So richtig viele Statussymbole, die sich mit an den Arbeitsplatz bringen lassen, gibt’s ja auch nicht: Haus, Boot und Frau kommen nur bei Partys zum Einsatz. Der dicke BMW steht im Zweifel auch in der Tiefgarage. Bleiben natürlich Armbanduhr als wichtigstes immer vorzeigbares Utensil, Siegelring, Kleidung, Schuhe, Aktentasche, und dann eben das Schreibgerät. Wobei gerade das Schreibgerät von Natur aus phallische Form hat und deshalb im Besonderen der eigenen Männlichkeit Ausdruck verleihen kann.
Natürlich gibt es Männer, die sich hiervon distanzieren oder denen diese Mechanismen nicht bewusst sind. Und Frauen können hiermit in der Regel wenig anfangen, bekommen aber manchmal in eigens hierfür konzipierten Seminaren beigebracht, sich den teuersten Wagen und den protzigsten Stift zuzulegen.
Ich will hier weder das eine noch das andere kritisieren oder zu irgendetwas raten. Eigentlich ist das nur die Einleitung für mein eigentliches Thema, wobei die Einleitung wahrscheinlich länger geraten ist als das Thema selbst.
Lass das Archaische in dir zu
Mein Thema ist, kurz gesagt: Lass das Archaische in dir zu. Es ist sowieso omnipräsent, wenn auch unterschwellig. Du brichst dir dabei keinen Zacken aus der Krone. Im Gegenteil, wenn sich deine archaische Kraft nicht ins Shoppen von Statussymbolen oder, bei Frauen eher, ins Optimieren des eigenen Aussehens, ergießen soll, lass sie als direkten Selbstausdruck zu.
Dafür musst du sie natürlich erst einmal ins Bewusstsein holen. Das wirft die Frage auf: Was ist die archaische Kraft in dir?
Die Antwort kann für JedeN ganz anders aussehen. Wenn du dich auf die Suche begeben möchtest, hier ein paar Hinweise: Das Archaische in dir ist das urtümlich Lebensbejahende, deine Sinnesfreude, deine Naturverbundenheit. Das Archaische äußert sich im Bewegungsdrang, in der Lust, im Verteidigungswillen, im Genuss, in der Ruhe, im Singen und Tanzen, im Schlaf.
Was kann das operationalisiert bedeuten? Trinke und esse, was dir Freude macht und zeige und teile das. Koche für andere deine Lieblingsgerichte, trink mit ihnen deinen Lieblingswein. Steh vom Stuhl auf und laufe, wenn dir danach ist. Zum Beispiel nach einem überflüssigen Meeting, auch wenn du eigentlich an deinen Schreibtisch zurück solltest. Lass deine Sexualität nicht einseitig fließen: Als Frau ziehe dich in dem Maße sexy an, wie du bereit bist, auch sexuelle Energie anzunehmen; als Mann öffne dich in dem gleichen Maße, in dem du Attraktivität konsumierst. Tanze auf der Straße und sing dazu. Geh in den Wald, schreie, umarme Bäume. Wehre dich, und zwar deutlich, mit dem gleichen Maß an Kraft, mit dem du angegriffen wirst.
Letztlich ist das Archaische als Statussymbol nutzbar, wenn du das möchtest. An erster Stelle ist es aber gesunder Selbstausdruck. Deshalb darfst du es ganz unverschämt ausleben.
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