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Ich bin mir sicher, dass sie sehr gute Freunde waren. Wer? Na, der Dom und der Baum. Wohnst du in Köln oder warst du schon einmal zu Besuch hier? Dann warst du sicherlich bereits einmal im Dom. Und wahrscheinlich bist du auch hinten herum um den Dom bis auf die Hohenzollernbrücke gegangen, am Dach der Philharmonie vorbei, dessen Betreten zu Konzertzeiten wegen der Schwingungen untersagt ist.

Der Baum

Der Baum – er stand direkt hinter dem Dom, an der Spitze der Außenseite des Altarraums. Es war ein ganz gewöhnlicher Baum. Ein Laubbaum. Er war wunderschön gewachsen. Im Winter war seine Krone symmetrisch und filigran verästelt, im Frühling lindgrün, im Sommer saftig und bewegt, im Herbst leuchtend rot mit ein bisschen gelb und ein bisschen braun.

Und irgendwann war er weg. Abgesägt. Gefällt. Und zwar ratzeputz, kein Baumstumpf mehr zu sehen. Ich habe mich gefragt, ob ich ihn nur geträumt hatte, so reibunsglos war er ausgelöscht worden. Er war nicht krank. Ich schrieb eine eMail an das Domkapitel mit der Frage, welchem Glaubenssatz er zur Antwort gefallen war. Keine Antwort. Vielleicht, weil ich schon seit Jahren keine Kirchensteuern mehr zahle? Do ut des. Vielleicht. Jedenfalls war er weg – ohne Gegenleistung.

Der Dom

Ich bin sicher, der Dom vermisst ihn auch. Ich finde ja, der Baum verlieh dem Dom die gewisse Lebendigkeit, die diesem nun mal fehlt. Sozusagen das i-Tüpfelchen auf einem jahrundertelangen Kunstwerk. Der Dom kann ja schon ein bisschen traurig wirken, gerade bei trübem Wetter. Das hat der Baum immer hervorragend ausgeglichen. Mir ist, als ob der Dom sich dessen jetzt ein bisschen schämt. Aber auch das steht ihm gut.

Die Menschen

Im Gegensatz zum Dom scheinen sich die Menschen, die doch beide an ihren Platz gestellt hatten, nicht der großen Tristesse zu schämen, die von dem Sandtseinkoloss ausgeht, so ohne das lebendige Farbtupferchen.

Ich werde leider den Verdacht nicht los, dass sie sogar ganz froh sind, dass der Baum weg ist. Der Baum hatte eine wirklich unprätentiöse Art, die unendliche Vollendung Gottes zu versinnbildlichen. Denn, das lässt sich nicht bestreiten, der Baum war in seiner filigranen Lebendigkeit hundertmal, tausendmal schöner als der Dom in seiner beeindruckenden Gewaltigkeit. Völlig unschuldig und absichtslos wies er jahrein, jahraus mahnend darauf hin, dass die Menschen, die doch den Dom geschaffen hatten, sich eben hierauf nicht allzu viel einbilden sollten, im Angesicht des Schöpfers des Baumes. Wie er da so stand, der Baum, schien er zu wispern: Umarme mich. Sei dir, dem Leben und der Unendlichkeit näher, als du es in dem Steingebilde hinter mir je sein kannst. Er sprach das Wort nicht aus. Und doch, er lockte die wahrhaft Gläubigen weg vom Ort der Gottsverehrung hin zum Wesentlichen, zum Ursprünglichen, zum Eigentlichen.

Jetzt ist er weg. Unzweifelhaft, Menschen sind dafür verantwortlich. Sie haben dafür gesorgt, dass ein weiterer Sinneseindruck verschwindet, der jeden Besucher der Domstadt, still und leise und vielleicht unmerklich, ein klein wenig an die Tugend menschlicher Demut erinnert hat.

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